Pressekonferenz- 16.01.2016 – Fragen und Antworten

1. Wie ist die wirtschaftliche Situation der Landwirte in Südhessen derzeit?
Aus dem aktuellen Situationsbericht des DBV geht hervor, dass die Jahresabschlüsse 2014/2015 ca. 35% unter denen des Vorjahres liegen, im Schnitt aller Buchführungsbetriebe. Das wären weit unter 2.500 € brutto monatlich je Vollarbeitskraft im Schnitt.
2. Sind Betriebe in Existenznot – und wenn ja, wie viele (wie viele Mitglieder hat der Verband insgesamt?
Gerade im Bereich leistungsschwächerer Betriebe ist die Liquiditätslage äußerst angespannt. Wir denken, dass schätzungsweise gut 10% der Betriebe in akuter Finanznot sind. Unser Regionalbauernverband Starkenburg hat 3.000 Mitglieder.
3. Welche Erzeuger sind besonders betroffen?
Zuallererst die Milchviehbetriebe, die teilweise nur 25-26 Cent/Liter Milch ausgezahlt bekommen und die Schweinemäster, welche nur 1,25 €/kg Schlachtgewicht für ihre Schweine erzielen. Der Fassweinmarkt liegt mit unter 40 Cent/Liter nur unwesentlich über der Milch. Auch Gemüse und Obst hatten witterungsbedingt einen schweren Stand. Getreide und Mais kosten aufgrund guter Erträge weltweit ebenfalls nicht so viel, dass es sich ordentlich davon leben ließe.
4. Was sind die Hauptprobleme?
Hauptprobleme sind entweder Einbruch auf den Exportmärkten z.B. China und das Russlandembargo bei der Milch, auch beim Schweinefleisch (dauerhaft zu hohe Mengen). Beim Getreide und Mais sind es die guten Welternten. Bei Obst- und Gemüse die witterungsbedingt hohen Mengen: bei hohen Temperaturen kann es doppelte Erntemengen in kurzer Zeit geben, alle satzweise gepflanzten Partien kommen zu einem Zeitpunkt (temporär zu hohe Mengen).
5. Was raten Sie Ihren Mitgliedern derzeit?
Betriebe mit mehreren Standbeinen sind zwar aufwendiger zu betreiben, sind aber stabiler im Betriebserfolg. Der Rat, sich vielseitiger aufzustellen ist jedoch kurzfristig nicht hilfreich. Es gibt jedoch Standorte oder Sektoren, wo das nur eingeschränkt zu verwirklichen ist. Bei nicht zu erzielender Kostendeckung sollte die Produktionsmenge eingeschränkt werden. Das muss jeder Betrieb selbst entscheiden. Kurzfristig hilft nur: Kosten minimieren und Investitionen aufschieben. Der Staat hat sich in allen Bereichen (Milch, Zucker und Wein) aus der Quotierung der Erzeugung zurückgezogen. Eine kollektive, freiwillige Mengenzurückführung, müsste europaweit organisiert werden. Dieser werden aufgrund langjähriger Erfahrungen wenig Erfolgschancen eingeräumt.
6. Wäre eine Umstellung auf Bio eine sinnvolle Entscheidung – und wenn ja, für welchen Betriebstyp?
Bioprodukte sind gesucht. Im extensiven Milchsektor wäre Bio eine Alternative. Es bedarf allerdings einer Umstellungszeit, in der es den höheren Milchpreis noch nicht gibt und die Milchleistungen sind geringer. Schlachthof Brensbach bietet die Möglichkeit der Bio-Schlachtung. Laut Auswertung der Buchführungsergebnisse ist der Biobetrieb trotz höheren Arbeitsaufwandes und höheren Risikos nicht erfolgreicher als vergleichbare konventionelle Betriebe. Nur durch weitere finanzielle Anreize lässt sich hier was bewegen. In der intensiven Riedschiene ist das Feld knapp und teuer. Da Biobetriebe mehr Flächen brauchen, um gleiches Produktionsvolumen zu erzeugen, tun dieselben sich schwer. Sie können auch keinen Flächentausch betreiben, da ihnen die BioPartner fehlen. Solange Bio exklusiv direkt vermarktet wird, lassen sich gerechte Preise erzielen. Die großen Discounter wollen verständlicherweise mehr Bio: größere, einheitliche Partien, wenn möglich größere Tierbestände und zu einem günstigeren Preis. Hier müssen wir aufpassen, dass wir nicht übers Ohr gehauen werden.
7. Hat sich die Landwirtschaft zu sehr vom Weltmarkt abhängig gemacht?
Wir importieren im Nahrungsmittelbereich mehr als wir exportieren. Durch die gestiegene Erzeugung bei der Milch und bei Fleisch sind wir hier zu Nettoexporteuren geworden. Nicht zu vergessen: die hohen Milchpreise waren mitverursacht durch den Melaminskandal in China. Der skandalbedingte Nachfragesog hat die Preise steigen lassen. Den Quotenausstieg haben viele Betriebe genutzt, ihre Bestände auszudehnen. Die Förderungspolitik hat noch Öl ins Feuer gegossen. Hätte man auf Tierwohl gefördert und nicht auf Stallgröße, hätten wir einige Mengen weniger. Jetzt kommt ein Nachfrageeinbruch (s.o.) und die Preise fallen. Wollten wir uns nur auf den Binnenmarkt ausrichten müssten wir unsere Bestände bei Milch und Schwein um gut 20% abbauen! Das wird wohl auch nicht sinnvoll sein. Grundsätzlich sollten wir den Binnenmarkt als unser vordringlichstes Ziel sehen und den Weltmarkt als Ventil. Bei Obst und Gemüse und Kartoffeln spielt der Weltmarkt keine Rolle. Überschüsse sind witterungsbedingt und weniger flächenbedingt.
8. Wo sehen Sie die Politik derzeit gefordert?
Verschärfung des Kartellrechts in Bezug auf den Discount. Es kann nicht sein, dass 4 Megabetriebe tausenden bäuerlichen und kleingewerblichen Anbietern gegenüberstehen und sich die Märkte gestalten, wie sie es brauchen. Die vom Kartellamt zunächst abgelehnte, vom Vizekanzler jedoch unterstützte Übernahme von Tengelmann durch Edeka muss verhindert werden. Die Discounter wollen beispielsweise, dass die vertraglich gebundenen Lieferanten immer etwas Fläche in Reserve haben, dass es gar nicht witterungsbedingt zu Engpässen kommen kann und damit zu kurzfristig höheren Preisen. Diese suchen immer das billigste Angebot und das wird oft mit Qualitätsmängeln oder anderen Kollateralschäden erwirtschaftet. Wenn Landwirtschaft umweltschonend produziert, dann muss das honoriert werden. Verkauf unter Einstandspreis muss verboten werden. Die Margen sollten ebenso überwacht werden, es ist nicht Prinzip eines Sozialstaats, dass der Bauer 10% Marge hat und der Discount 90% ergaunert. Hier erwarten wir Hilfe von der Politik.
9. Welche Erfahrungen haben Sie nach 1 Jahr Mindestlohn gemacht?
Alle haben die steigenden Lohnkosten gespürt, gerade in einem Jahr wie diesem. Diese sind in 4 Jahren von 6,40 € auf jetzt 8,00 € angestiegen, nächstes Jahr dann auf 8,50 €. Wir hatten uns mit den Gewerkschaften auf einen Stufenvertrag geeinigt. Innerhalb von nur 5 Jahren steigen die Lohnkosten um 33%, das müssen die Betriebe erstmal verkraften. Es werden umso mehr Betriebe verkraften, umso höher wir unsere Preise anpassen können. Das geht in der Direktvermarktung eher als in der Vermarktung via LEH, da hier 14 Tage im Voraus die Verkaufsmengen billigstbietend ausgeschrieben werden. Je höher die (z.B. witterungsbedingt) die Angebotsmengen, desto höher der Preisdruck. Bei Mindestlöhnen wären angepasste Mindestpreise folgerichtig, was auf freien Märkten nicht umsetzbar sein wird.
10. Außer den gestiegenen Lohnkosten – was verändert der Mindestlohn sonst noch?
Der Mindestlohn bringt einen enormen Aufwand mit sich, weil wir die Arbeitszeiten genau dokumentieren müssen. Dadurch fällt die Flexibilität weg. Die Erntehelfer dürfen nur 48 Stunden wöchentlich arbeiten. Aber gerade, wenn Hauptsaison ist, fallen oft mehr Stunden an. Dann übertragen wir die Stunden in den nächsten Monat und müssen den Arbeitern erklären, dass sie ihre Stunden im nächsten Monat abfeiern dürfen. Früher wurde das nicht so streng kontrolliert. Außerdem ist eine Nachtruhe von mindestens elf Stunden am Stück vorgeschrieben. Und das ist schon das nächste Problem. Im Sommer pflücken wir Erdbeeren von 6 bis 10 Uhr und dann wieder von 17 bis 21 Uhr. Zwischendrin ist Mittagspause, da ruhen sich die Erntehelfer aus. Aber die Leute bekommen dann keine elf Stunden Schlaf in der Nacht, sondern eben nur neun. Sollen wir jetzt das Erdbeerpflücken in die Mittagshitze legen, nur damit die Arbeitszeitregelung eingehalten wird? Und was geschieht mit der Qualität unserer Früchte? Wir brauchen hier flexible Lösungen und eine Verringerung des bürokratischen Aufwandes.
11. Ist der Flächenfraß wirklich ein Thema, der bereinigt doch den Markt?
Starkenburg, das sind die 5 südhessischen Landkreise, hat 60.700 ha Acker und 31.000 ha Wiesen. Zusammen: 91.700 ha. In Starkenburg verbauen wir 3 ha pro Tag. Das sind 1095 ha pro Jahr: 91700:1095= 83,7 Jahre. In 83,7 Jahren gibt es in Starkenburg keinen einzigen ha Acker und Wiese mehr, wenn der Raubbau so weitergeht und wir nicht gegensteuern! Bei 2 ha täglichen Flächenverbrauchs sind es immerhin noch 125,6 Jahre.
Verursacher für die Flächenverluste in der Landwirtschaft in Hessen sind:
1. Bahntrassen, Straßen und Autobahnen
2. Flughäfen
3. Abbau bodennaher Lagerstätten (Kiesabbau, Steinbrüche)
4. Gewerbeflächen, Freizeitanlagen
5. Wohnbauflächen (Wohnfläche 1970: 20 qm und heute: 40 qm pro Person)
6. Naturschutzrechtlicher und forstrechtlicher Ausgleich
(Kompensation: Seit 1978 forstrechtlicher und seit 1980 naturschutzrechtlicher Ausgleich)
7. Schutzgebietsauflagen
Auf geschätzten 200.000 ha (25%) der z. Z. verfügbaren LN in Hessen befinden sich Schutzgebietsauflagen (Wasser-, FFH/VS- und Naturschutzauflagen)
Wir leben hier im gemäßigten Klima, haben geologisch jungfräuliche Böden mit hohem natürlichen Mineralienbestand und zusammen mit dem Klima hoher, und zudem sicherer Ertragskapazität. Gemeinsam mit der Beregnungsmöglichkeit aus sich natürlich erneuernden Grundwasserkörpern sind diese Standorte höchst wertvoll und für eine sichere, autarke Ernährung der Bevölkerung mit gesunder, hochqualitativer Ware unverzichtbar! Rund um Starkenburg ernähren wir 4 Mio Verbraucher mit Nahrungsmitteln aus regionaler Herkunft.
Global gesehen fällt die verfügbare Ackerfläche pro Kopf von 5.100 m² (1950) auf 2.000 m² (2050). Alles was hier durch Flächenverlust weniger erzeugt wird, muss in ökologisch instabilen Systemen, auf oft wegen mangelnden Wassers zur Versalzung neigenden Standorten erzeugt werden. Die langen Transportwege einerseits und die politisch fragilen Verhältnisse andererseits erhöhen die Unsicherheiten.
Eine unserer Kernforderungen: wir wollen die Naturschutzbehörden davon überzeugen, in Südhessen ganz auf Ausgleichsflächen zu verzichten, zugunsten von Ökopunkten, welche für den Waldumbau, partielle Aufspiegelung oder andere ökologisch sinnvolle Maßnahmen zu verwenden sind.
Weiterhin muss Schluss sein mit der Bevorratung von Ackerflächen für potentielle Bau- oder Gewerbegebiete seitens der Gemeinden.
12. Haben wir ein Nitratproblem in Südhessen?
Aus der Datenbank der Grundwasserbeschaffenheiten (www.gruschu-hessen.de), sowie aus eigenen Messungen aus Brunnen während der Beregnungsaktivitäten wissen wir, dass in den allermeisten Brunnen die Nitratwerte zwischen 0 und maximal 30 mg/l liegen. Die meisten Extremwerte über 50 bis 200 mg/l finden sich entweder in Messbrunnen inmitten von Gemeinden, hinter Deponien in Fließrichtung des Grundwassers, an Kolluvialstandorten an den Westhängen des Odenwalds (Siehe Darmstadt!) oder bei speziellen hydrogeologischen Verhältnissen. Eine Korrelation zwischen dem intensiven, bewässerungsgestützten Anbau von pflanzlichen Erzeugnissen sowie Sonderkulturen auf sowohl leichten, bis hin zu tonhaltigen Böden, kann mit den vorliegenden Daten nicht hergestellt werden. Funde von Wirkstoffen moderner Pflanzenschutzmittel in unseren Grundwässern sind extrem selten! Lediglich der Süßstoff Acesulfam K wurde gefunden(?). Der Wirkstoff Glyphosat wurde in keinem hessischen Grundwasservorkommen aufgespürt!
13. Wie stehen Sie zu Glyphosat?
Glyphosat wird in unserem Raume im Vergleich zu den USA sehr wenig angewendet und zwar nur zur Beseitigung schwer bekämpfbarer Unkräuter wie Ackerwinde, Distel oder Quecke nach der Ernte. Gerade in Gebieten mit Erosionsgefahr und Pflugverzicht kann auf Glyphosat nicht verzichtet werden. Ansonsten gehen nur Pflugfurche und mehrmalige mechanische Arbeitsschritte, um genannte Unkräuter effektiv zu bekämpfen. Das bedeutet eine beschleunigte Mineralisierung und somit gegebenenfalls verstärkte Grundwasserbelastung. Fazit: Glyphosat, fachgerecht angewendet, schont das Grundwasser und verhindert Erosion!
14. Schlussfolgerungen:
Südhessen verfügt über die von großen Teilen der Bevölkerung gewünschte familiengeführte Form landwirtschaftlicher Betriebe. Bedingt durch die napoleonische Realteilung und die facettenreiche Geomorphologie ist sowohl der Landschaftstyp als auch die Form der landwirtschaftlichen Betriebe kleinstrukturiert. Viele unserer Betriebe, gerade im Odenwald können aufgrund ihrer benachteiligten Mittelgebirgslage nicht zu global beeinflussten Marktpreisen produzieren. Deshalb sind Ausgleichszulagen unverzichtbar, als auch praktikable Umwelt- oder Landschaftspflegeprogramme, um den Familien eine echte Bleibeperspektive zu bieten! Der Tierbesatz in Südhessen ist mit 0,2 Großvieheinheiten Milchvieh und 0,06 Großvieheinheiten Mastschweine/ha extrem gering. Das führt auch zum Verlust von Verarbeitungskapazitäten (wie z.B. Schlachthof Bensheim).
Der Ausbildungsstand unserer Jugend ist hervorragend, die Technik meist auf dem neuesten Stand, die Fruchtbarkeit der Böden gut in Schuss, die Tierhaltungen absolut im Rahmen, die Betriebe nach internationalen Standards zertifiziert und trotzdem wird unsere rückstandsfreie, hochqualitative Ware unter Wert gehandelt. Das muss sich ändern. Es muss noch mehr marktangepasst produziert werden, Überschüsse sind zu vermeiden. Wer witterungsabhängig produziert, weiß, wie schwer das ist. Die Angebotsbündelung seitens der Erzeuger muss vorangetrieben werden. Verkäufe unter Einstandspreis müssen unterbunden werden. Auch muss die Politik Maßnahmen ergreifen, welche es verbieten, dass ein Handelspartner (Landwirt) mit 10% Spanne abgespeist und der LEH mit bis zu 90%. Das zerstört mittelständische Strukturen. Damit muss Schluss sein. Der Mittelstand ist das Rückgrat unserer Gesellschaft und wir Bauern gehören dazu. Das verstehen wir unter Agrarwende: Mehr Gerechtigkeit!